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Archäobotanische Vergleichssammlung – Institut für Archäologische Wissenschaften, Abt. III

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Anispollenkorn

Kategorien

Signatur

Apiaceae, Pimpinella anisum L., AF 0092

Maße

ca. 20 Mikrometer

Material

Vergleichspräparat auf Objektträger, eingebettet in Silikonöl

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Anispollenkorn

© Archäobotanische Vergleichssammlung

Auf das Äußere kommt es an

von Petra Hülsen-Öhring

Auf den ersten Blick könnte es die Zeichnung einer Miesmuschel sein. Die feste Umrisslinie, die pastellkreidig-weiche Innenstruktur, die geschwungene Form … Aber was ist das für ein seltsames Loch in der Mitte? Bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, dass das abgebildete Objekt weder ein Schalentier noch gezeichnet ist. Seine Farbigkeit hat es nicht der Pastellkreide, sondern der Behandlung mit einer chemischen Substanz zu verdanken, und seine solide Umrisslinie ist sein Kapital.

Es handelt sich um ein Pollenkorn der Anispflanze, nur 0,02 mm groß, festgehalten auf einem Mikroskopfoto. Das Loch ist die sogenannte Pore. Gut erkennbar ist die ausgebuchtete Außenhülle aus Sporopollenin, einer chemisch schwer zu knackenden Substanz. Sie macht Pollenkörner so widerstandsfähig, dass sie unter Luftabschluss zu Mikrofossilien und damit zu einem hochinteressanten Gegenstand für die Archäobotanik werden. „Das Innere vergeht im Laufe der Zeit, aber die Außenhülle kann Jahrtausende überstehen“, sagt Astrid Stobbe, Leiterin des Labors „Archäobotanik und Vegetationsgeschichte Europas und Westasiens“. Stobbe und ihre Mitarbeiter erforschen die Vegetationsgeschichte sowie die Verbreitung und Entwicklung bestimmter Kulturpflanzen, wobei die Pollenanalyse hierfür eine der wichtigsten Methoden darstellt. Denn die Gestalt der meisten Pollenkörner verändert sich unter günstigen Umständen im Laufe der Jahrhunderte kaum und die im Rahmen einer archäologischen Grabung gewonnenen Exemplare lassen sich durch einen Abgleich mit den „rezenten“, also in heutiger Zeit erstellten, Präparaten der Vergleichssammlung identifizieren. Zu dieser gehört auch das abgebildete Anispollenkorn.

Anispollen lässt sich nicht nur nach seiner Familie und Gattung, sondern bis auf die Art bestimmen und ist daher als archäologische Zeitmarke gut geeignet. Er spielt eine wichtige Rolle bei der Datierung römerzeitlicher Fundplätze, denn Pimpinella anisum ist in unseren Breiten erst seit der Zeit römischer Besatzung ab der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts v. Chr. vertreten. Die Römer schätzten den Anis nicht nur als Gebäckzutat und Arzneimittel; so schreibt Plinius der Ältere (23 oder 24–79 n. Chr.) im Jahr 77 n. Chr. in seiner „Naturkunde“: „Er (der Anis) ist harntreibend, hemmt den Durst, reizt den Geschlechtstrieb, verursacht mit Wein auf gelinde Art Schweiß, schützt auch die Kleider gegen Motten.“ Ein vielseitig einsetzbares Kraut also, auf das die Römer auch in ihren nördlichen Provinzen nicht verzichten wollten. Im Mittelalter setzte sich die Beliebtheit des Anis fort: Im Capitulare de villis, der Landgüterverordnung Karls des Großen, wird zur Bewirtschaftung der Krongüter auch der Anbau von anesum als Nutz- und Heilpflanze empfohlen. Noch heute ist das ätherische Öl des Anis wegen seiner antibakteriellen Eigenschaften Bestandteil von Medikamenten, es wird zur Bekämpfung von Parasiten eingesetzt und dient in vielen Aperitifs als appetitanregender Wirkstoff.

Eine kulturelle Erfolgsgeschichte also, die sich durch archäobotanische Belege nachvollziehen lässt. Das hierzu benötigte antike Pollenmaterial wird während der Grabung aus einem Untergrund geborgen, der eine gute Erhaltung ermöglicht, also beispielsweise Feuchtbodenschichten oder, im römischen Siedlungskontext, Sedimente verfüllter Brunnen. Die Gewinnung unseres rezenten Pollenkorns war einfacher. Es wurde während der Blütezeit des Anis – in Hessen sind das die Monate August und September – von den Staubgefäßen der blühenden Pflanze abgestrichen, labortechnisch aufbereitet und auf dem Objektträger mit Hilfe einer Versiegelung zum Dauerpräparat. Wenn ihn nicht die Kontamination mit Schimmelpilzen vorzeitig zerstört, kann er im Kasten seiner Apiaceae-Familie 40 Jahre und mehr überstehen und viele Male helfen, seine entfernten, antiken Verwandten zu identifizieren.

Petra Hülsen-Öhring war im Sommersemester 2013 Studentin der Archäologie und Geschichte der römischen Provinzen. Der Text entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung der Studiengruppe „sammeln, ordnen, darstellen“.

Literatur

Stefanie Jacomet, Angela Kreuz: Archäobotanik. Aufgaben, Methoden und Ergebnisse vegetations- und agrargeschichtlicher Forschung, Stuttgart 1999.

Karl-Heinz Knörzer, Renate Gerlach, Jutta Meurers-Balke, Arie J. Kalis, Ursula Tegtmeier, Wolf D. Becker und Antonius Jürgens: PflanzenSpuren. Archäobotanik im Rheinland: Agrarlandschaft und Nutzpflanzen im Wandel der Zeiten, Köln 1999.

Peter D. Moore, Judith A. Webb, Margaret E. Collinson; Pollen Analysis, 2. Aufl. Oxford u.a. 1991.

C. Plinius Secundus d. Ä.: Naturkunde (Naturalis historiae), Buch XX, lat./deutsch, hrsg. und übers. von Roderich König in Zsarb. mit Gerhard Winkler, München 1979.

Astrid Stobbe: Die Wetterau in römischer Zeit. Eine waldfreie Landschaft? in: Beihefte der Bonner Jahrbücher 58, 1, 2009, S. 251–261.

Astrid Stobbe: Ein römischer Brunnen im freien Germanien, in: Archäologie in Deutschland 2, 2009, S. 28–29.

Karl-Josef Strank, Jutta Meurers-Balke (Hg.): Obst, Gemüse und Kräuter Karls des Großen. „dass man im Garten alle Kräuter habe“, Mainz 2008.