© Michael Maaser, Wolfgang Schopf (Hg.): Bögen des Universitätsarchivs Frank- furt: Bogen 1: »Für Burgel Zeeh, das Glück des Hauses«. Autographen aus dem Nachlass. Glückwünsche, Wid- mungen und Dank der Autoren für vier Jahrzehnte im Dienst der Liter
von Silke Reich
Auf die Frage „Wer war Burgel Zeeh?“ bringt uns ein von Hand beschriebenes Stück Papier. Es ist etwas zerknickt, aber nicht beschädigt oder vergilbt. Die ersten Zeilen „Einen Tag vor Ihrem 97er Geburtstag“ verraten den Zweck seiner Existenz: ein Geburtstagsgruß. Doch ist dieser merkwürdige, fast ungelenk wirkende Titel ein charmanter Versuch, darüber hinwegzutäuschen, dass der Verfasser das Alter des Geburtstagskindes nicht kannte? Vielleicht ist es auch nur Höflichkeit, das Alter nicht zu nennen, denn immerhin handelt sich hier um den 60. Geburtstag einer Dame. Eine schlichtweg „schlechte“ Formulierung wird es wohl nicht sein, denn der Blick auf den Absender enthüllt, dass es sich um Martin Walser (*1927) handelt. Hier grüßt der bekannte Autor, auch im Namen seiner Frau Käthe Walser.
Der elfzeilige Text gleicht einer Lobeshymne, bei der sich die Frage aufdrängt: Wer ist jene „prächtige Frau“, die er als „fröhliches Zentrum / in einer ziemlich / zerfahrenen Welt“ anspricht? Die Anrede verrät uns immerhin einen Vornamen: Burgel. Dass sie und Martin Walser per Sie waren, liefert einen ersten Anhaltspunkt für das Verhältnis der beiden. Durchforsten wir das Umfeld Walsers nach diesem Namen, so stoßen wir auf Burgel Zeeh, geborene Geisler (1937–2009). Dieser Hinweis führt uns in den Suhrkamp-Verlag. Genauer gesagt in das Vorzimmer des Verlegers und langjährigen Leiters des Verlages Siegfried Unseld, denn hier saß Burgel Zeeh über 30 Jahre lang als dessen Sekretärin und Vorzimmerdame. Eingestellt im letzten Quartal des Jahres 1967, betreute und unterstützte sie die großen Autoren des Verlages. Ob Max Frisch (1911–1991), Thomas Bernhard (1931–1989), Jurek Becker (1937–1997), Uwe Johnson (1934–1984), Isabel Allende (*1942) oder eben Martin Walser, über 150 Autoren sind mit persönlichen und einzigartigen Dokumenten in der Sammlung des Literaturarchivs der Goethe-Universität vertreten. Was diese Sammlung auszeichnet, sind nicht unbedingt die Verfasser, wenngleich sich darunter bedeutende Namen befinden, sondern der Charakter dieser Schriftstücke. Üblicherweise setzen sich die Bestände in Literatur- oder Verlagsarchiven aus Manuskripten oder offizieller Korrespondenz zwischen Autor und Verlag zusammen. Sie spiegeln daher ein Arbeitsverhältnis wider und sind einem Autor zugeordnet. Diese Sammlung sticht daher gleich in zweierlei Hinsicht hervor: Einerseits handelt es sich um Geburtstagsgrüße, Ehr- und Zuneigungs- oder sogar Liebesbekundungen, andererseits richten sie sich alle an eine einzige Person, nämlich an die langjährige Sekretärin des Verlegers. Die Briefe, Karten und Bilder, die sie in ihrem Privatbesitz aufbewahrte, gelangten über Wolfgang Schopf, den Leiter des Literaturarchivs – eine Kooperation des Fachbereichs Neuere Philologien und des Universitätsarchivs –, an die Goethe-Universität. Der Witwer Werner Zeeh, mit dem Schopf durch seine vorige Tätigkeit als Leiter des Archivs der Peter Suhrkamp Stiftung noch in Kontakt stand, drückte ihm ganz unverhofft ein paar schmale Ordner in die Hand. Beim Durchblättern erkannte er schnell die Einzigartigkeit der Dokumente und bemühte sich umgehend, die Sammlung für das Literaturarchiv der Universität zu gewinnen. Die Dokumente erlauben einen seltenen Einblick in die Arbeitsstrukturen zwischen den Autoren und ihrem Verlag, die sonst nicht dokumentiert sind. Sie bilden den ganz eigenen literarischen Nachlass von Burgel Zeeh.
Die Worte Martin Walsers zu ihrem Geburtstag verraten die Wertschätzung der Arbeit Burgel Zeehs als Sekretärin, ihrer Position, die als Schnittstelle unerlässlich in jedem Betrieb ist und doch von vielen nicht wahrgenommen oder gewürdigt wird. Sie war es, die herzlich, unerschöpflich und fröhlich den steten Kontakt zu den Autoren hielt, die als Vermittlerin und Helferin auftrat. Ihre Rolle als Dreh- und Angelpunkt des Suhrkamp-Verlages sowie ihr Einfluss auf die Literaturwelt wäre ohne diese Zeugnisse kaum bekannt und schnell in Vergessenheit geraten.
Die Autorin war im Sommersemester 2013 Studentin der Musikwissenschaft. Der Text entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung der Studiengruppe „sammeln, ordnen, darstellen“ und wurde im Katalog der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Sammlungen der Goethe Universität“ veröffentlicht. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.
Michael Maaser, Wolfgang Schopf (Hg.): „Für Burgel Zeeh, das Glück des Hauses“, Autographen aus dem Nachlaß. Glückwünsche, Widmungen und Dank der Autoren für vier Jahrzehnte im Dienst der Literatur. Eine Ausstellung der Deutschen Nationalbibliothek in Kooperation mit der Goethe-Universität Frankfurt am Main 10.–20. Oktober 2012, Frankfurt a. M. 2013.
Wolfgang Büscher: Hinter der Geheimtür, in: Die Welt, http://www.welt.de/print-welt/article520847/Hinter-der-Geheimtuer.html (Zugriff: 11.08.2013).
Helmut Böttinger: Der Untergang des Hauses Suhrkamp. Einst war Suhrkamp das Flaggschiff der deutschen Buchverlage. Eine Chronik, in: Süddeutsche Zeitung Magazin 39/2007, http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/3575 (Zugriff: 11.08.2013).
Suhrkamp-Verlagsgeschichte. 1950–1987, hg. v. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt a. M. 1987.
Katharina Mommsen: Abschied von Burgel 23. März 2009, Frankfurt a. M. 2010, http://www.katharinamommsen.org/pdf/burgelzeeh.pdf (Zugriff: 11.08.2013).