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Altorientalische Sammlung

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Anthropomorphe Terrakotten aus Tell Chuera in Nordsyrien

Kategorien

Datierung

3. Jahrtausend v. Chr.

Maße

H 5 – 20 cm

Material

Ton, gebrannt

Ausstellungskontext

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Anthropomorphe Terrakotten aus Tell Chuera in Nordsyrien

© Foto: Tom Stern, Copyright: Abt. Marketing und Kommunikation, Goethe-Universität

Magisches im Schutt?

von Lanah Haddad

Die Vitrine im 6. Stock des IG-Farben-Hauses, in der ausgewählte archäologische Objekte aus dem Alten Orient präsentiert werden, ist gefüllt mit Funden aus den Grabungen von Tell Chuera in Nordostsyrien. Unter der Leitung des Archäologen Anton Moortgat (1897 – 1977) wurden sie vor mehr als 50 Jahren ausgegraben und kamen durch die damals übliche Fundteilung mit der syrischen Antikenverwaltung nach Deutschland. Nach dem Tod Moortgats wurden die Objekte der Alfred Freiherr von Oppenheim-Stiftung vermacht, und einige Exemplare befinden sich nun als Leihgaben in der Vitrine der Archäologischen Sammlung des Vorderen Orients. Darunter sind 22 Figuren in menschlicher Gestalt aus gebranntem Ton. Von der ersten Grabung 1955 bis zur letzten im Jahre 2010 wurden auf dem Siedlungshügel zahlreiche Terrakotten dieser Art gefunden, die alle auf das Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. datiert werden. Ähnliche Figuren stammen auch aus anderen Ruinen Nordsyriens. Fast immer wurden sie in Schuttschichten oder Abfallgruben im Umfeld von Wohnvierteln ausgegraben.

Die Auswahl der ausgestellten Stücke ver- deutlicht die Vielfalt der anthropomorphen Terrakottafiguren. Sie sind handgeformt und gänzlich massiv. Meistens besteht der Unterkörper aus einer zylindrischen Basis, seltener aus zwei voneinander getrennten Beinen. Sie liegen mit ihrer Größe und ihrem Format sehr gut in der Hand. Details wie Gesicht, Frisur oder Schmuck sind durch aufgeklebte Tonstreifen und Einritzungen dargestellt. Eine Feststellung des jeweiligen Geschlechts ist meist nicht möglich, da entsprechende Merkmale oft fehlen.

Die hier vorliegenden Stücke spiegeln den allgemeinen Erhaltungszustand derartiger Objekte wider: Fast immer sind sie am Hals- oder Hüftbereich abgebrochen. Die Regelmäßigkeit der Bruchstellen an den Terrakotten deutet sehr stark darauf hin, dass sie nach ihrer Herstellung zerbrochen und dann weg- geworfen wurden.

Oft wird gefragt, ob es sich bei den Terrakottafiguren nicht um Spielzeug handeln könnte. Für diese Überlegung gibt es bis jetzt keine überzeugenden Argumente. Die Figuren lassen keine Abnutzungsspuren erkennen, die darauf hinweisen könnten, dass sie über einen längeren Zeitraum benutzt wurden. Dies spricht wiederum dafür, dass die Objekte nur kurz in Gebrauch waren. Ihre genaue Funktion oder ihre Bedeutung für die damalige Gesellschaft ist bis heute nicht eindeutig geklärt. In der Forschung gehen die Meinungen dazu auseinander, viele Fragen sind noch offen.

Für die Figuren aus der antiken Siedlung von Tell Chuera kann man die Verbindung zur offiziellen Religion – als Opfergaben im Heiligtum – ausschließen und sie eher in einem privaten magisch-rituellen Kontext sehen.

Diese Interpretation stützt sich auf Keilschrifttexte aus dem 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. Da die altorientalische Kultur über Jahrtausende hinweg tradiert wurde, ist dies zurzeit die beste Annäherung an die Objektgruppe. Es liegt eine große Reihe von Tontafeln aus Babylonien und Assyrien (dem heutigem Irak) vor, auf denen verschiedene Ritualhandlungen schriftlich festgehalten wurden. Viele dieser Rituale bestanden darin, die Krankheit einer Person auf ein Objekt zu übertragen. Einige Texte beschreiben diese Objekte als anthropomorphe Figuren, die anschließend zerbrochen und weggeworfen wurden. Diese Ritualbeschreibungen passen sehr gut zu den Fundsituationen in Tell Chuera. Leider fehlt allerdings eine ausreichende Anzahl an Texten aus dem 3. Jahrtausend, um die Funktion der Figuren für diese Zeit eindeutig zu belegen.

Lanah Haddad war 2014 Studentin der Archäologie des Vorderen Orients. Der Text entstand im Rahmen der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe Universität“ und wurde im Katalog veröffentlicht. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.

Literatur

Leila Badre: Les figurines anthropomorphes en terrecuite à l’âge du Bronze en Syrie, Paris 1980.

Jan-Waalke Meyer: The anthropomorphic terracotta figurines from Tell Chuera and Halawa. Their chronology and their meaning, in: Proceedings of the International Colloquium From Relative Chronology to Absolute Chronology. The Second Millennium BC in Syria-Palestine (Rome, 29th November – 1st December 2001), hg. v. Paolo Matthiae, Rom 2007, S. 349–363.

Alexander Pruß: Figurines and Model Vehicles, in: Jezirah, hg. v. Marc Lebeau, Turnhout 2012, S. 239–254.