© Uwe Dettmar
von Maria Smolenskaja
Der Anfang ist immer schwer, aber ich versuch´s. Und stelle mich als erster vor. Ich bin einer von den fünf dunklen konkav-konvexen wulstigen Glassplittern, die hier auf dem weißen Tisch liegen. Unsere Oberfläche ist amorph und zeigt Einkerbungen und schmale Rinnen. Wir befinden uns in der paläontologisch- paläoanthropologischen Sammlung des Forschungsinstituts Senckenberg in Frankfurt am Main.
Wir heißen Tektite. Unser Name stammt vom griechischen tectos und bedeutet „geschmolzen“. Manchmal werden wir auch Australiten und Billitoniten genannt, weil man unsere ähnlich beschaffenen Verwandten auch in Australien und bei der Suche nach Zinn auf der Insel Belitung (früher: Billiton) bei Sumatra entdeckt hat. Wir selbst stammen aus Sangiran, auf der indonesischen Insel Java, etwa 15 Kilometer nördlich von Surakarta. Beim Suchen nach vormenschlichen Steinwerkzeugen sind Wissenschaftler auf uns gestoßen.
Es war der Wissenschaftler Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald (1902–1982), der uns dort gefunden hat. Er war ein deutsch-niederländischer Paläoanthropologe und Geologe. Zunächst arbeitete er an der Bayerischen Geologischen Staatssammlung in München und war danach im American Museum of Natural History in New York tätig. 1948 kehrte er nach Europa zurück und trat eine Stelle als Professor für Anthropologie und Paläontologie an der Universität Utrecht an. Das Frankfurter Institut, in dem ich heute lebe, leitete er von 1965 bis zu seinem Tod im Jahr 1982.
Ich erzähle Euch nun die Geschichte unserer Entstehung: Unsere Väter sind kosmischen Ursprungs. Sie kommen aus dem fernen Weltraum und heißen Meteoriten. Unsere Mutter ist die Erde. Wir entstanden als Folge ihrer Verschmelzung mit unseren Väter-Meteoriten, die sich mit rasender Geschwindigkeit durch den Weltraum auf die Erde zu bewegten. Durch die Energie, die beim Aufprall der Meteoriten auf der Erde frei wurde, verdampften nicht nur die Gesteine des Einschlagbereichs, sondern auch die Meteoriten selbst explosionsartig. In Sekundenbruchteilen entstand ein großer Einschlagskrater, aus dem geschmolzene irdische Gesteine viele Kilometer weit herausgeschleudert wurden. Diese flüssigen Gesteine wurden dadurch sehr schnell abgekühlt und erstarrten im Flug zu Gesteinsglas – so entstanden wir. Deshalb sind wir nicht rund, sondern narbig bis tief gefurcht und teilweise korrodiert.
Man kann uns leicht mit Obsidian, einem schwarzen vulkanischen Glas, verwechseln. Doch in unserer Zusammensetzung sind wir von diesem verschieden. Wir enthalten mehr Silizium (60-80 % Siliziumdioxid) und bei Hitze schmelzen wir zu großen Tropfen. Obsidian bläht sich bei der Hitze auf, wird hell, porös und wandelt sich zu Bimsstein.
Ihr fragt Euch sicherlich, wozu wir nützlich sind und gesammelt wurden. An unseren Fundorten dienen wir noch heute zur Abwehr gegen schwarze Magie und böse Geister. Außerdem glauben viele Menschen dort an unsere Heilkräfte und mögliche Hilfe bei Eifersucht, Streitsucht und Beziehungsproblemen. Doch hier im Institut ist unsere Aufgabe eine ganz andere. Wir sind sehr, sehr alt. Unsere Väter trafen vor etwa 700 000 Jahren auf die Erde. Deshalb dienen wir den Wissenschaftlern als Anhaltspunkte bei der Altersbestimmung der Erdschichten, in denen wir aufgefunden werden. Diese Methode nennt sich Stratigraphie. Der Begriff setzt sich aus dem lateinischen stratum für „Schicht“ und dem griechischen gráphein für „schreiben“ zusammen. Bei der Stratigraphie geht es um die Beschreibung von Ablagerungen und Schichten. Vereinfacht zusammengefasst geht man davon aus, dass alles, was sich in einer Erdschicht befindet, zur gleichen zeitlichen Periode gehört. Das heißt, dass auch räumlich weit entfernte Gesteinseinheiten miteinander zeitlich in Beziehung zu setzen sind und alle Gesteine, die in den oberen Schichten liegen, jünger sind als diejenigen, die sich in den unteren Schichten befinden.
Nun aber zu Ihnen: Wie heißen Sie? Kommen Sie auch zur Hälfte aus dem All? Können Sie auch eine spannende Geschichte über sich erzählen?
Maria Smolenskaja war im Sommersemester 2013 Studentin der Geschichte. Der Text entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung der Studiengruppe „sammeln, ordnen, darstellen“.
Gustav Heinrich Ralph Koenigswald: Begegnungen mit dem Vormenschen, München 1965.
Mineralienatlas:
http://www.mineralienatlas.de/lexikon/index.php/RockData?rock=Tektit (Stand: 18.07.2013)
Tektite Information Page
http://www.utexas.edu/tmm/npl/meteorites/tektites/tektite_info.html (Stand: 19.07.2013)
Tektite:
http://www.britannica.com/EBchecked/topic/585760/tektite