© Archivzentrum, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
von Theresa Gessler
„Lieber Vater, du und die liebe Mutter ihr beide habt den Wunsch meine Stimme zu hören“ – und genauso geht es dem Hörer, bei der ältesten Aufnahme des Tonarchivs der Frankfurter Schule im Archivzentrum der Frankfurter Universitätsbibliothek. Zum achtzigsten und zweiundachtzigsten Geburtstag nahm Max Horkheimer (1895–1973) mit seiner Frau Maidon, kurz nach der Emigration in die USA, für seinen noch in Deutschland befindlichen Vater eine Platte auf. Die Platte selbst wird zwar archiviert, ist heute aber nicht mehr abspielbar – schon als sie in das Archivzentrum gelangte, war sie mit dem Abspielhinweis „Keine Metallnadeln benutzen, nur für Holz- oder Kaktusnadel“ versehen. Heute ist die vormals von der Platte gesicherte Information digital auf den Rechnern des Archivzentrums sowie im Langzeitarchiv der Universitätsbibliothek gespeichert. Max und Maidon Horkheimer sprechen so nur über Kopfhörer eines Computers im Archivzentrum zum Besucher.
Die Glückwünsche Horkheimers an seinen Vater haben also eine doppelte Geschichte, einmal die als materielles Objekt und einmal die als Information. Die Frankfurter Sammlung konzentriert sich auch auf Grund mangelnder Alternativen und zum Schutz des Materials auf letzteres und ließ die Audiodaten digitalisieren. Daher ist das, was der Nutzer über die Datenbank des Tonarchivs abrufen kann, bereits die Digitalisierung eines Tonbands, auf das die beiden nicht mehr abspielbaren Originalplatten überspielt wurden – gewissermaßen die Übersetzung der Übersetzung. Der erste Glückwunsch beinhaltet keine Ortsangabe, der zweite wurde in den Rocky Mountains aufgenommen, die Max Horkheimer voller Faszination beschreibt. Vermutlich kamen die Platten per Post nach Deutschland, wurden von dem Frankfurter Philosophieprofessor und Horkheimer-Spezialisten Gunzelin Schmid Noerr (*1947) gefunden und dem Nachlass Max Horkheimers beigelegt, der 1974 an die Stadt- und Universitätsbibliothek übergeben wurde.
Was über die Jahre trotz Alterserscheinungen und Übersetzung in ein neues Medium gleich blieb, ist die Botschaft: Für den Hörer sind die Worte Maidon und Max Horkheimers ein Zeugnis des Verhältnis der beiden zu Max Horkheimers Vater. Beide betonen die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen, Max Horkheimer die Rolle des Vaters für die eigene Entwicklung. Allein das Bespielen der Schallplatte war sicherlich etwas ganz besonderes: Erst ab den 1930er Jahren war ein Selbstschneiden, anfangs noch ohne Nachbehandlung zur Haltbarmachung, möglich. So kommt es, dass Max Horkheimer am Ende des ersten Grußes nach seiner Frau nochmals für 14 Sekunden das Wort übernimmt, um keine Sekunde zu vergeuden – die Gesamtspielzeit beträgt nur etwa zwei bzw. drei Minuten.
Aufgrund der Kürze der Aufnahme scheint die Schallplatte für die Forschung wenig preiszugeben. Trotzdem kann man auch auf beiden Platten Einblicke in die Herausforderungen des Exillebens der beiden gewinnen: Wie Maidon versucht mit „Happy Birthday to you“ auch auf Englisch zu gratulieren und wie sie die Rocky Mountains mit der Schweiz vergleichen. Obwohl die Botschaft nur abgelesen ist, vermittelt das gesprochene Wort eine besondere Authentizität, die umso beeindruckender ist, als nur wenig über Horkheimers Privatleben erhalten ist. Trotz seiner scheinbaren Beiläufigkeit ist dieses nur im Archivzentrum vorhandene Dokument also – zumal im Vergleich mit anderen Aufnahmen – ein wichtiges biographisches und technikhistorisches Zeugnis.
Theresa Gessler war im Sommersemester 2012 Studentin der Soziologie. Der Text entstand im Rahmen einer Lehrveranstaltung der Studiengruppe „sammeln, ordnen, darstellen“.
Max Horkheimer: Biographische Angaben; http://www.ub.uni-frankfurt.de/archive/horkheimer_vita.html
Andreas Weisser: Audio- und Videobänder: Geschichte, Aufbau und Archivierung, Forum Bestandserhaltung, Uni Münster: http://www.uni-muenster.de/Forum-Bestandserhaltung/kons-restaurierung/weisser.html
Hartmut Böhrenz: Grundsätze bei der Konservierung von bibliothekarischem Sammelgut; Forum Bestanderhaltung; http://www.uni-muenster.de/Forum-Bestandserhaltung/kons-restaurierung/gs-boerenz.html
Martin Jay: The Dialectical Imagination: A History of the Frankfurt School and the Institute of Social Research, 1920–1950, Berkeley, CA: University of California Press 1996.
Schweizer Nationalphonothek: Behandlung von Tonträgern, http://www.fonoteca.ch/yellow/handling_de.htm
Rolf Wiggershaus: Max Horkheimer zur Einführung. Hamburg 1998.
Rolf Wiggershaus: Die Frankfurter Schule. Geschichte, Theoretische Entwicklung, Politische Bedeutung. München u. a. 1986.