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In der Sammlung

Archiv des Fritz Bauer Instituts

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Schreibtisch mit Karteiaufbewahrung

Kategorien

Signatur

H 80, B 144, T 55

Datierung

undatiert

Material

Holz

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Schreibtisch mit Karteiaufbewahrung

© Foto: Tom Stern, Copyright: Abt. Marketing und Kommunikation, Goethe-Universität

Ein unscheinbarer Tisch

von Patrick Schmidt

Zwischen Aktenregalen voller Prozessmaterial steht ein Tisch. Die Nutzungsspuren sind nicht zu übersehen, überall finden sich Kratzer, Stoßstellen und Klebereste von Beschriftungen. Die Schreibfläche ist dreigeteilt, das mittlere Drittel ist grün verkleidet. Unter dem Tischblock ist jeweils an den beiden Enden eine Schublade angebracht. Der trotz seiner Größe zunächst unscheinbare Tisch steht im Archiv des Fritz Bauer Instituts, das als An-Institut der Goethe-Universität den Umgang mit dem Holocaust im Nachkriegsdeutschland erforscht. Die Bedeutung des Tischs wird erst deutlich, wenn man die Schreibtischfläche abdeckt. Zum Vorschein kommt eine Sammlung aus roten und weißen, circa DIN A5-großen Karteikarten. Sie sind in unterschiedlichem Zustand, teilweise abgegriffen, aber auch nahezu neuwertig. Was hat es damit auf sich?

Hersteller und Produktionszeitpunkt des Schreibtischs sind unbekannt, er wird vermutlich eine Serienanfertigung für die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main gewesen sein. Seit 1959 spielte er dann eine zentrale Rolle in den Ermittlungen gegen Robert Mulka (1865–1969), Richard Baer (1911–1963) und alle anderen Lagerfunktionäre, die im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz tätig waren. Bis zum Jahr 2009 wurden in dem Schreibtisch sämtliche beteiligten Personen, namentlich Täter und Opfer, katalogisiert; die entsprechenden Karteikarten wurden mit Querverweisen zu den jeweiligen Akten der Auschwitzprozesse versehen. So erklärt sich auch die farbliche Unterteilung der Karten, die durchaus symbolischen Charakter hat: Die Täter sind auf roten Karten vermerkt, die Opfer auf weißen. Die Farben und die Anordnung der Karten auf zwei unterschiedlichen Seiten des Schreibtisches (rechts die Täter, links die Opfer) stellen gewissermaßen eine Distanz zwischen der (roten) Sünde und der (weißen) Unschuld her. Die verschiedenen Beschriftungen auf den Karten zeugen von der langen Zeit der Bearbeitung, da die Daten über die vermerkten Personen fortlaufend aktualisiert wurden und sporadisch auch heute noch werden. Es finden sich mehrheitlich Schreibmaschineneinträge, die jedoch auch durch datierte handschriftliche Vermerke ergänzt wurden.

Durch die Kooperation des Fritz Bauer Instituts mit der Frankfurter Staatsanwaltschaft ist der Schreibtisch im Jahr 2009 in das Archiv gekommen. Seit dem Projekt „Gerichtstag halten über uns selbst“ (1997–2009), das die Erforschung des ersten Auschwitzprozesses, seiner öffentlichen Darstellung und seiner Wirkung zum Ziel hatte, besteht eine enge Verbindung zwischen den beiden Institutionen, der auch diese Überlassung zu verdanken ist.

Da das Archiv sonst vor allem Dokumente aufbewahrt, ist der Tisch einzigartig in der Sammlung. Vor allem aber ist er ein Knotenpunkt, der den gesamten Verlauf aller Auschwitz-Prozesse in Frankfurt von 1963 bis 1981 an einem Ort konzentriert und so auch einen Zugang zur Masse der im Archiv gelagerten Dokumente bildet. So griff beispielsweise der Journalist und Schriftsteller Ernst Klee (1942–2013) bei den Recherchen für seine Lexika zum Dritten Reich auf den Tisch und die in ihm „gespeicherten“ Informationen zurück. Und dennoch hat sich seit der Übernahme ins Archiv ein Wandel der Nutzung des Tisches vollzogen. Der häufige und alltägliche Gebrauch, wie er in den Räumen der Staatsanwaltschaft stattgefunden hat, ist Vergangenheit. Nun ist der Tisch ein Beleg- und Ausstellungsstück der damaligen Rechtspraxis und wartet möglicherweise auf den Autor, der darüber schreibt.

Der Autor war im Sommersemester 2013 Student der Geschichte und der Informatik. Der Text entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung der Studiengruppe „sammeln, ordnen, darstellen“.

Literatur

Karin Orth: SS-Täter vor Gericht. Die strafrechtliche Verfolgung der Konzentrationslager-SS nach Kriegsende, in: „Gerichtstag halten über uns selbst...“ Geschichte und Wirkung des ersten Auschwitz-Prozesses, hg. v. Irmtrud Wojak, Irmtrud, Frankfurt a. M. 2001, S. 43–60.

Werner Renz: Der 1. Frankfurter Auschwitzprozess. Zwei Vorgeschichten, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 7, 2002, S. 622–641.

Irmtrud Wojak: Einleitung. In: Wojak, Irmtrud (Hg.): „Gerichtstag halten über uns selbst...“. Geschichte und Wirkung des ersten Auschwitz-Prozesses. Frankfurt a. M. 2001, S. 7-20.

Irmtrud Wojak: „Die Mauer des Schweigens durchbrochen“. Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963-1965, in: „Gerichtstag halten über uns selbst...“. Geschichte und Wirkung des ersten Auschwitz-Prozesses, hg. v. Irmtrud Wojak, Frankfurt a. M. 2001, S. 21–42.

Irmtrud Wojak: Auschwitz-Prozeß 4 Ks 2/63, Katalog zur Ausstellung vom 27. März bis 23. Mai 2004 im Haus Gallus, Frankfurt a. M., Köln 2004.