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von Mariam Hammami
Jedem Besucher des Lesesaals im Universitätsarchiv Frankfurt muss der fast mannshohe Globus auffallen, der dort in einer Vitrine ausgestellt ist. Doch bei genauerer Betrachtung wird er sich wundern: Was ihm der Globus zeigt, entspricht nicht unserer Vorstellung von der Erde. Das Mittelmeer ist recht leicht zu identifizieren, doch je weiter man den Blick nach Osten und Süden wandern lässt, desto merkwürdiger erscheinen die Formen der Kontinente: Afrika nimmt fast die Hälfte der Südhalbkugel ein und wird im Westen und Osten von geraden Linien begrenzt, Amerika und Australien fehlen ganz, und mitten durch das, was man als Indischen Ozean verstehen könnte, verläuft eine gerade Trennlinie zwischen hell- und dunkelblauem Wasser. Will man sich zur Identifikation der Meere und Länder der Beschriftungen bedienen, stellt man fest: sie sind auf Arabisch.
Nur ein kleines Messingschild am Fuß des Globus gibt Auskunft darüber, was man hier vor sich hat: „Terrestrial globe, constructed according to the world map made for Caliph al-Maʾhmun (d. 833)“. Daher die arabischen Beschriftungen und daher die fehlenden Kontinente. Immerhin entstand die Karte lange vor der „Entdeckung“ Amerikas im 15. und Australiens im 17. Jahrhundert.
Kalif Al-Maʾmūn (um 786–833), der das Abbasidenreich, das sich von Pakistan bis Nordafrika erstreckte, zwischen 813 und 833 regierte, scheint ein großes Interesse an der Geographie gehabt zu haben. Besonders am Herzen lag ihm dabei offenbar die Erstellung einer Weltkarte. Frühere Versuche der geographischen Erfassung der Welt, etwa durch die Griechen Marinos von Tyros (1./2. Jahrhundert n. Chr.) und Ptolemäus (um 100–nach 160) im 2. Jahrhundert n. Chr., waren zwar noch immer bekannt, doch das genügte Al-Maʾmūn nicht. Er wollte auf eigenen Messungen beruhende Ergebnisse und beauftragte eine ganze Gruppe von Geographen mit dieser Arbeit. Welche Ziele er damit verfolgte, können wir nur noch vermuten: War es wissenschaftliches Interesse? Wollte er durch die Erstellung einer Weltkarte demonstrieren, dass er alles beherrschte, was sich zu beherrschen lohnte? Oder ging es ihm, wie alte Quellen berichten, darum, die geographische Lage von Bagdad und Mekka genau ermitteln zu lassen, um das Gebet exakt in Richtung Mekka verrichten zu können? Was auch immer ihn bewegte, die von ihm beauftragten Messungen und Berechnungen ergaben erstaunlich genaue Ergebnisse.
Von der Arbeit der Geographen bis zu dem Globus im Lesesaal des Archivs war es aber noch ein weiter Weg. Denn obwohl schriftliche Quellen auch Jahrhunderte später noch von der enormen Leistung der Maʾmūn-Geographen berichteten, galt die berühmte Weltkarte als verschollen. Niemand wusste mehr, wie die Karte genau ausgesehen hatte, wie exakt sie war und wie die Geographen mit dem Problem umgegangen waren, die kugelförmige Erdoberfläche in einem zweidimensionalen Bild wiederzugeben. Bis 1986 ein ganz besonderer Fund gemacht wurde: In einem in der Istanbuler Saray-Bibliothek aufbewahrten, um 1340 entstandenen Exemplar der Enzyklopädie „Masālik al-abṣār“ von Ibn Faḍlallāh al-ʿUmarī (1301–1349) wurde eine Kopie der Weltkarte entdeckt, die es ermöglichte, die Karte zu rekonstruieren. So wurde klar: Die Geographen hatten sich die bewohnte Welt als Insel vorgestellt, die vom hellblau dargestellten „Umgebenden Ozean“ umschlossen wurde, an den sich der dunkelblaue unbefahrbare „Finstere Ozean“ anschloss. Zugleich macht die Karte auch deutlich, dass die Wissenschaftlichkeit und Präzision der Geographen das Maß übertraf, das einige Forscher ihnen bisher zugestehen wollten. Die Karte besaß mehrere Maßstäbe, stellte die Gebirge perspektivisch dar und verwendete eine Form der Projektion der kugelförmigen Erde auf die zweidimensionale Fläche, die in Europa erst im 16. Jahrhundert üblich wurde. Als man auch das Koordinatenwerk der Maʾmūn-Geographen mit etwa 3000 Koordinaten fand, entstand die Idee, die Weltkarte zu rekonstruieren und diese auf einen Globus zu übertragen.
Dieser Globus wurde im Auftrag des Instituts für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften hergestellt und der Universität Frankfurt am 27. Juni 1995 überreicht. Als Teil der Kunstsammlung steht er nun im Lesesaal des Archivs neben Ölgemälden und einer Büste: So wurde aus der wissenschaftlichen Arbeit der Maʾmūn-Geographen ein noch immer zu bewunderndes Kunstwerk.
Mariam Hammami war 2014 Studentin der Kunstgeschichte. Der Text entstand im Rahmen der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen an der Goethe Universität“ und wurde im Katalog veröffentlicht. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.
Fuat Sezgin: Mathematische Geographie und Kartographie im Islam und ihr Fortleben im Abendland. Historische Darstellung Teil 1, Frankfurt a. M. 2000, S. 80–129.
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