von Robert Steiner
Draußen schneit es. Der kalte Wind zieht durch die undichten Fenster. Eisblumen auf den Scheiben verdecken die Sicht nach draußen. Die Kinder sitzen unter dicken Decken, dicht an dicht, um nicht auszukühlen. Wärme ist nicht in Sicht. Der Ofen bleibt schon seit Tagen kalt und eine wärmende Suppe als Mahlzeit gibt es auch heute nicht.
Kalte Winter waren (und sind bis heute) für die Armen und Mittellosen der Bevölkerung lebensbedrohlich, vor allem, wenn sie nicht im Bürgerverband der Stadt integriert waren. Dies betraf lange Zeit zum großen Teil auch jüdische Menschen, die im Laufe des 19. Jahrhundert nur langsam gleichgestellt wurden. Vor diesem Hintergrund wurde 1838 die Israelitische Feuerungshülfskasse für hier nicht eingebürgerte und auswärtige Arme in Frankfurt am Main gegründet.
Mehr über die Anfänge dieser wohltätigen Stiftung erfahren wir durch ihren ersten Wirkungsbericht von 1841. Auf zwei DIN A4 Seiten werden die ersten drei Jahre rekapituliert. Das Papier ist sehr dünn und mittlerweile spröde. Der Text ist in Fraktur gedruckt. Er stellt nochmals den Zweck dieser wohltätigen Stiftung dar, bittet um weitere Spenden und listet in einer Tabelle die Bilanz der ersten drei Jahre auf. Hier halten sich die Einnahmen durch Spenden die Waage mit den Ausgaben für die Bedürftigen. Jedoch stieg die Nachfrage derart, dass der Versorgungsradius von drei auf zwei Kilometer gekürzt werden musste, um die Ausgaben decken zu können. Bedürftige Israeliten in rund 21 Ortschaften aus der Region Frankfurts wurden mit Brennholz, Torf, Steinkohle und Öfen zum Befeuern versorgt. In nachfolgenden Berichten von 1853 und 1857 übersteigen die Ausgaben dann kontinuierlich die Einnahmen.
Viele christliche Stiftungen in Frankfurt unterstützten in der Armenhilfe keine Angehörigen anderer Religionen, sodass diese ihre eigenen Institutionen gründen mussten. Gerade in Frankfurt nahm die jüdische Bevölkerung im 19. Jahrhundert zu. Lebten 1811 rund 2214 jüdische Menschen in Frankfurt, waren es 1823 bereits 4530 und 1858 schon 5730. Neue Gleichstellungsgesetze in den folgenden Jahren – wie die Gewerbefreiheit von 1864 oder die Freizügigkeit von 1867 – verfestigten den Zustrom. 1870 wurde zudem das Abschieben von „verarmten Fremden“ aus der Stadt verboten. Mit der wachsenden jüdischen Bevölkerung stieg auch die Bedeutung der jüdischen Wohlfahrtspflege, die der Unternehmer und Politiker Wilhelm Merton 1892 wie folgt charakterisierte: „In ihrer reinsten Form entspringt sie dem Mitleid und der Nächstenliebe; im Weiteren dem Gefühl für das allgemeine Wohl; sie erfolgt aus Gewohnheit; zur persönlichen Befriedung, wenn nicht gar aus Selbstsucht; zumeist aber aus einer Mischung dieser verschiedenen Beweggründe.“
Im späten 19. Jahrhundert suchte die Israelitische Feuerungshülfskasse nicht nur nach weiteren Spendenden, sondern hatte sich auch Betrügereien zu erwehren. So legen die Statuten von 1871 fest: „Wer nachweislich das erhaltene Brennmaterial verkauft oder verschenkt, dem wird bei der Vertheilung des nächsten Jahres die Unterstützung entzogen.“
Gleichzeitig zeigen die Statuten, dass die Feuerungshülfskasse von einem lockeren Wohlfahrtsverein zu einer etablierten Institution heranwuchs, die bis mindestens 1933 in Frankfurt Bestand hatte. Ihr Verbleib während des Nationalsozialismus ist ungewiss. Der ähnlich ausgerichtete Verein zur Verteilung von Heizmaterial an israelitische Arme e. V., gegründet 1911, bestand bis 1940 und wurde danach entweder aufgelöst oder in die Reichsvertretung der Juden eingegliedert. Die Annahme, dass die Feuerungshülfkasse das gleiche Schicksal – vielleicht sogar schon ein paar Jahre zuvor – ereilte, dürfte demnach sehr wahrscheinlich sein. Als stiller Zeuge verbleibt das denkmalgeschützte Gebäude in der Neuen Mainzer Straße 68, welches heute einen Teil der Fassade des über 100 Meter hohen Eurotheum bildet.
Dieser Beitrag von Robert Steiner entstand im Rahmen des Projektseminars ’17 Motive jüdischen Lebens‘ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main im Sommersemester 2021.
Kümmel, Werner Friedrich: „Säulen der Wohltätigkeit“. Jüdische Stiftungen und Stifter in Frankfurt am Main. In: Medizinhistorisches Journal, Bd. 28 Heft 2/3 (1993). S. 275-287.
Stahl, Patricia: Die Tradition jüdischer Wohlfahrtspflege in Frankfurt am Main vom 15. bis zum 19. Jahrhundert. In: Zedaka. Jüdische Sozialarbeit im Wandel der Zeit. 75 Jahre Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland 1917-1992. Hrsg. Dezernat für Kultur und Freizeit, Amt für Wissenschaft und Kunst der Stadt Frankfurt am Main, Jüdisches Museum. Frankfurt am Main 1992. S. 58-70.
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: Stiftungen jüdischer Bürger Frankfurts für die Wohlfahrtspflege – Übersicht und Geschichte nach 1933 (letzter Aufruf 16.08.2021).