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von Maria Smolenskaja
Jeder von uns hat schon einmal die Geschichte von Yeti, dem Schneemenschen aus dem Himalaya, gehört. Er soll in der Region der Schneegrenze, in einem Gebiet von 4000 bis 7000 Meter Höhe, zwischen dicht bewaldeten Hängen und trostlosen Eis- und Schneewüsten leben. Dieses riesige Wesen von drei Metern, das über 200 Kilogramm wiegt und dessen Fußabdrücke bis zu 43 Zentimetern reichen, beschreiben die Tibeter als Affentier mit leichter, rötlicher Behaarung. Sein Name bedeutet so viel wie „Bär des Gebirges“.
Doch existiert dieses Wesen wirklich? Man könnte meinen, dass sich der Beweis für die Existenz des Yetis in der paläontologisch-paläoanthropologischen Sammlung der Goethe-Universität befindet. Die Sammlung, die zum Forschungsinstitut Senckenberg gehört, war das „Lieblingskind“ von Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald (1902–1982), einem deutsch-niederländischen Paläoanthropologen und Geologen. Er leitete das Institut von 1965 bis zu seinem Tod im Jahr 1982 und brachte den angeblichen Beweis für die Existenz des Riesen von seinen Reisen mit nach Deutschland.
Von Koenigswald, immer auf der Suche nach unbekannten Arten der menschlichen Vorfahren, reiste 1938 nach China, um dort seinen Freund und bekannten Paläoanthropologen Franz Weidenreich (1873–1948) zu besuchen und 14 Schädel, die dieser gefunden hatte, zu begutachten. Von Koenigswald nutzte die Reise, um in chinesischen Apotheken nach Fossilien zu suchen. Die Chinesen verwendeten die „Drachenzähne“, wie sie die Zahnfossilien nannten, als Zutaten für die medizinischen Mixturen, die besonders bei Impotenz helfen sollten. „Sie taten meistens so, als ob sie die Zähne nicht in Vorrat hätten, da sie nur zu gut wussten, dass ich als Europäer nicht an ihre Wunderwirkung glaubte. Aber wenn sie mein Rezept sahen, dann lächelten sie freundlich, und immer kam aus irgendeiner Ecke ein Päckchen zum Vorschein mit den sorgfältig eingepackten Drachenzähnen“, schrieb von Koenigswald in seinem Buch „Begegnungen mit dem Vormenschen“ (Koenigswald: S. 59). Auch wenn der Forscher mit Hilfe des Rezeptes vorgab, die Zähne als Potenzmittel nutzen zu wollen, war er an ihnen aus anderen Gründen interessiert: Zähne können nicht nur zeigen, wie groß und schwer ein Mensch war oder ist, sondern geben auch Hinweise auf seine kulinarischen Vorlieben. Außerdem lässt sich dank der Isotopenanalyse des Zahnbeines auch sehr genau die Gegend bestimmen, in der das jeweilige Individuum aufgewachsen ist. Insofern sind sie wichtige Quellen der Paläoanthropologie.
Eines Tages im Jahre 1935 hatte von Koenigswald besonderes Glück: In einer Apotheke in Hongkong fand er einen großen fossilen Backenzahn, der keiner bis dahin bekannten Spezies zugeordnet werden konnte. In den nächsten vier Jahren suchte Koenigswald weiter nach ähnlichen Zähnen und wurde fündig: dritte Backenzähne, die zwei- bis dreimal größer waren als die eines männlichen Gorillas, dem größten heute lebenden Primaten, und eine unglaubliche Ähnlichkeit mit Menschenzähnen hatten.
Anhand der Zähne und eines im Jahre 1958 gefundenen Unterkiefers weiß man, dass die Spezies, die aus pleistozänen Höhlen in China und Vietnam stammte, ganze drei Meter groß und 540 Kilogramm schwer gewesen sein muss. Die Zähne halfen auch bei der Feststellung, dass der Riesenaffe sich möglicherweise von harten, faserigen Pflanzen ernährte, vielleicht von Bambus. Über den Lebensraum ist jedoch wenig bekannt. Von Koenigswald nannte die neu entdeckte Gattung Gigantopithecus, was schlicht „riesiger Affe“ bedeutet. Er gab ihm den Artnamen blacki, zu Ehren seines verstorbenen Freundes und Kollegen Davidson Black (1884–1934).
Hat der Riese die Eiszeit überlebt? Ist es plausibel zu glauben, dass der Gigant so einen nachhaltigen Eindruck bei den Frühmenschen in Asien hinterließ, dass er zumindest durch die Legende bis heute lebt? Es könnten natürlich auch Bären sein, die für die riesigen Fußspuren verantwortlich sind, die man angeblich noch heute findet. Ein Pfotenabdruck, der sich vergrößert, wenn der Schnee in der Sonne schmilzt, wäre eine plausible Erklärung für ihre enorme Größe. Oder wäre es vielleicht auch möglich, dass die Frühmenschen das Riesentier immer weiter in die Berge trieben, wo es genügend Schutz fand und sich bis heute noch befindet?
Die Autorin war im Sommersemester 2013 Studentin der Geschichte. Der Text entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung der Studiengruppe „sammeln, ordnen, darstellen“ und wurde im Katalog der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe Universität“ veröffentlicht. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.
Russel L. Ciochon, John Olsen, Jamie James: Warum mußte Giganto sterben? Auf der Suche nach dem Riesenaffen aus prähistorischer Zeit, Braunschweig 1992.
Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald: Begegnungen mit dem Vormenschen, München 1965.
Erin Waymann: Did Bigfoot really exist? How Gigantopithecus Became Extinct, in: http://blogs.smithsonianmag.com/hominids/2012/01/did-bigfoot-really-exist-how-gigantopithecus-became-extinct (Zugriff: 21.07.2013).
Gigantopithecus – Evolution der Primate, in: http://www.primata.de/evol/Gigantopithecus.php (Zugriff: 20.07.2013).