© Foto: Tom Stern, Copyright: Abt. Marketing und Kommunikation, Goethe-Universität
von Barbara Leven
Der Unterarm ist dunkelrot verfärbt und dick geschwollen. Handrücken und Finger wirken wie aufgebläht, die Haut scheint zum Zerreißen gespannt. Blasen besetzen die Haut, weißliche Ausschwitzungen bedecken die bis zum Ellbogen ausgedehnten Blutergüsse. An der Handwurzel befindet sich eine große Blase, teils bedeckt von schwärzlichem Schorf. Wohl von hier nahm, möglicherweise über eine kleine Wunde, die tödliche Infektion ihren Ausgang. Die Diagnose im Städtischen Klinikum Frankfurt lautete: Anthrax, Hautmilzbrand.
Die Krankheit tritt plötzlich auf, sie befällt Tiere und ist auf Menschen übertragbar. Bis Ende des 18. Jahrhunderts war der Milzbrand eine regelmäßig und europaweit auftretende Seuche. Dann ließ sich die Krankheit aufgrund verstärkter hygienischer und seuchenpolizeilicher Maßnahmen eindämmen, jedoch gelang erst in den 1850er Jahren die Entdeckung des Bacillus anthraci. 1877 konnte Robert Koch (1843–1910) die Rolle des Erregers bei der Entstehung der Krankheit nachweisen, seine Publikation über „Die Aetiologie der Milzbrandkrankheit“ gilt als maßgeblich für die Begründung der Bakteriologie. Mit der Entdeckung des Antibiotikums 1928 durch Alexander Fleming (1881–1955) wurde es möglich, den Milzbrand medizinisch weitgehend zu beherrschen. Heute kommt es laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Deutschland nur noch selten zu Milzbrand-Fällen, jedoch ist die Krankheit in Asien, Afrika und Südamerika nach wie vor verbreitet.
Die Entdeckung des Antibiotikums kam für den Patienten in Frankfurt zu spät: Er wurde bereits Anfang des 20. Jahrhunderts im Klinikum aufgenommen, sein Fall mittels dieser Moulage, eines Wachsabgusses, erfasst. Auf dem ersten Weltkongress für Dermatologie und Syphilographie 1889 in Paris hatte die Moulage ihren Durchbruch als medizinisches Lehr- und Studienmittel und fand nun als solches in Krankenhäusern und Universitäten in ganz Europa Verwendung. Einfühlungsvermögen gegenüber den Patienten und künstlerisches Können waren bei der Herstellung vonnöten: Mit Gips wurde die betroffene Körperstelle abgeformt und das Gipsnegativ mit Wachs ausgegossen. Das Wachspositiv wurde realitätsnah gestaltet, im Hautton eingefärbt, mit Farbe nachbearbeitet und Haare wurden eingesetzt. Die Frankfurter Moulagen wurden in helle Leinenstreifen eingefasst und mit kleinen Nägeln auf schwarz lackierten Holzbrettern befestigt. Bei der Anthrax-Moulage sind auf der Vorderseite des Holzbretts zwei Papieretiketten aufgebracht. Auf der einen ist handschriftlich der medizinische Befund, auf der anderen eine Nummer vermerkt, die auf eine heute unbekannte Systematisierung der Sammlung verweist. Die Moulage trägt an der Vorderseite des schwarzen Trägerbretts zudem den Namenszug „E. Winkler“. Winkler war unter Karl Herxheimer (1861–1942), dem Mitbegründer und ersten Inhaber des Lehrstuhls für Haut- und Geschlechtskrankheiten der Universität Frankfurt, vermutlich der erste fest angestellte Wachskünstler am Klinikum. Über den Mouleur, der wohl vollständig Ernst Winkler von Mohrenfels hieß und in den Städtischen Meldeunterlagen im Stadtarchiv Frankfurt am Main als „Krankenpfleger“ geführt ist, weiß man nicht viel: Er kam 1904 aus Heidelberg nach Frankfurt und starb laut Sterberegister der Stadt Frankfurt 1907 30-jährig an einem Herzfehler. Die Nachfolge Winklers trat eine Frau an, wie die Festschrift zum Kongress der Dermatologischen Gesellschaft 1908 in Frankfurt unter dem Personal „1 Moulageuse“ – allerdings ohne Namen – aufführt. Bis zur Emeritierung Herxheimers wurde die Sammlung stetig erweitert, in der Hautklinik sogar ein Atelier eingerichtet.
Mit Durchsetzung der Farbfotografie in der medizinischen Dokumentation verlor die Moulage aber seit Mitte des 20. Jahrhunderts an Bedeutung. Auch in Frankfurt wurde die Sammlung nicht weiter ausgebaut – wenngleich man sich stets um den Bestand bemühte: So bewirkte Oscar Gans (1888–1983), seit 1949 Direktor der Universitätshautklinik, eine hohe Sonderzahlung für die Wachsabbildungen, die sich nach dem Krieg in einem „bejammernswerten Zustand“ befanden. Dies geht aus einem Brief von Gans an das Kuratorium der Goethe-Universität hervor, der im Universitätsarchiv Frankfurt am Main aufbewahrt wird. Erhalten blieben von dem zu Blütezeiten der Sammlung rund 1000 Objekte umfassenden Bestand dennoch nur rund 200 Stück, die derzeit in der Hautklinik der Universität verwahrt werden. Noch heute kommen sie ihres hohen Anschauungswertes wegen bei Prüfungen zum Einsatz. Die eindrucksvolle Moulage des Anthrax-Arms ist eine von ihnen.
Die Autorin war 2013 Doktorandin der Kunstgeschichte. Der Text entstand im Kontext der Studiengruppe „sammeln, ordnen, darstellen“ und wurde im Katalog der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe Universität“ veröffentlicht. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.
Peter Altmeyer, Ingrid Menzel, Hans Holzmann: Die Moulagen-Sammlung der Frankfurter Hautklinik, Frankfurt am Main o. J.
Johanna Lang, Sandra Mühlenberend, Susanne Roeßiger (Hg.): Körper in Wachs. Moulagen in Forschung und Restaurierung, Dresden 2010.
Tomas Lottermoser: Milzbrand – ein Beitrag zur Geschichte der Krankheiten, Berlin 1998.
Thomas Schlich: Milzbrand, in: Enzyklopädie der Medizingeschichte, hg. v. Werner Gerabek, Berlin 2004, S. 992f.
Thomas Schnalke: Die medizinische Moulage zwischen Lehrsammlung und Museum, in: Medizinhistorisches Journal 28, 1993, S. 55–85.