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Sammlung Politische Bildgedächtnisse – Historisches Seminar

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Auf der Alhambra in Granada

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Signatur

Inv. Nr. 21983/5

Urheber

Rolf Lange, Kunstmaler und Graphiker, Köln; Gebrüder Stollwerck Actiengesellschaft, Köln-Berlin

Datierung

1937

Maße

Album: H 38, B 27,8, T 1; Bild: H 9,2, B 5,5 cm

Material

Vierfarbendruck, Papier

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Auf der Alhambra in Granada

© Foto: Tom Stern, Copyright: Abt. Marketing und Kommunikation, Goethe-Universität

Die Alhambra als Symbol der Sehnsucht

von Leon Hotz

Ein Hof, eingefasst von einer Säulenhalle, die reich mit Ornamenten und Arabesken verziert ist. Die Blickrichtung des Bildes geht aus der Säulenhalle hinaus auf den Hof, so als ob der Betrachter selbst unter dem Bogen stünde. In der Säulenhalle herrscht völlige Dunkelheit, man erkennt lediglich einige Kacheln am Boden und die Umrisse des ornamentierten Bogens. Umso größer ist der Kontrast zum Hof selbst, der mit seiner strahlenden Helligkeit fast schon blendet. Durch den besonderen Blickwinkel wird der Betrachter gewissermaßen Teil der Szenerie und unternimmt so mithilfe des Bildes eine imaginäre Reise zur Alhambra, der berühmten Stadtburg auf dem Sabikah-Hügel von Granada in Spanien.

Das Bild Auf der Alhambra in Granada ist eines von sechs gleich großen Sammelbildern zum Thema Spanien aus dem 1937 erschienenen Stollwerck-Album Reise um die Welt. Zweiter Teil. Das Album präsentiert jeweils auf der linken Seite eine Bildserie, auf der rechten kurze erläuternde Begleittexte. Diese sind zwar durch Nummern den einzelnen Bildern zugeordnet, enthalten jedoch weniger spezifische Informationen zur Abbildung als allgemeine Erklärungen zu Geschichte und Kultur der Gegend, für die das Bild stellvertretend steht.

Wie in den meisten Sammelalben kamen hier mehrere Intentionen zusammen: Zunächst einmal waren die Bilder ein Mittel zur Kundenbindung der Firma Stollwerck, einem führenden deutschen Schokoladenhersteller des späten 19. und 20. Jahrhunderts. Sammelalben als Reklametechnik waren in den 1930er-Jahren längst nichts Neues mehr. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts vergab das französische Kaufhaus Au Bon Marché kostenlose Sammelbilder als Zugabe zu Einkäufen, aber erst in den 1870er-Jahren war es unter anderem durch die Erfindung der Chromolithografie möglich geworden, kostengünstig hochwertige Farbdrucke herzustellen.

Unter der Vielzahl von Reklamebildern, die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts weit verbreitet waren, nehmen diejenigen der Firma Stollwerck eine gewisse Sonderstellung ein. Bereits um 1900 geriet die Firma in der Öffentlichkeit unter Druck: Mit ihren Bildern gefährde sie die Jugend und treibe sie, kombiniert mit der Naschsucht, dazu, die Schokoladenautomaten von Stollwerck aufzubrechen. Um diesem Vorwurf der Kriminalisierung Jugendlicher zu begegnen, betonte die Firma fortan verstärkt den pädagogischen Wert ihrer Sammelbilder. Sie schrieb Künstlerwettbewerbe aus und zog Sachverständige bei der Gestaltung von Bild und Text zu Rate. Das Werbemittel Sammelbild sollte durch einen entschieden geäußerten Bildungsanspruch gerechtfertigt und geadelt werden. Themen und Motive der Sammelbilder veränderten sich im Laufe des 20. Jahrhunderts, nicht zuletzt abhängig vom Zeitgeschmack. Eines blieb jedoch relativ konstant: Die Sammelalben bedienten die Sehnsucht nach Ferne und Exotik und rückten das für viele Menschen Unerreichbare etwas näher. Der Genuss von Schokolade mischte sich mit dem Verlangen nach Fremde und Abenteuer. Häufig fungierten Sammelbilder wie im Stollwerck-Album als Bilder einer imaginierten Reise.

Im Gegensatz zu ihrer »Konkurrenz« in (populär-)wissenschaftlichen national- und kunsthistorischen Überblickswerken waren die Sammelbilder von Anfang an farbig, ein Grund ihres großen Erfolges. Gerade diese Popularität und die damit verbundene Verbreitung macht sie interessant für die Untersuchung der Kanonisierung eines Bildgedächtnisses, wie sie das Forschungsprojekt »Ikonologie der Geschichtswissenschaft« am Historischen Seminar der Goethe-Universität unternimmt, zu dessen Sammlung das Stollwerck-Album gehört. 2008 kam die von Hartmut Köberich (*1943) über Jahrzehnte privat zusammengestellte Sammlung an die Goethe- Universität. Mit ihren circa 2.500 Alben aus den Jahren 1899 bis 2002 bietet sie einen einmaligen Einblick in die von den Sammelbildern geprägten kollektiven Bildwelten 20. Jahrhunderts. Noch deutlicher als Nationalgeschichten oder Schulbücher, mit denen die Sammelalben im Forschungsprojekt verglichen werden, waren Sammelbilder an die Auswahlmechanismen des Marktes gekoppelt, der so den Bildkanon mitbestimmte – und mit ihm auch die Wahrnehmung der Welt.

Leon Hotz war im Sommersemester 2012 Student der Geschichte. Der Text entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung der Studiengruppe „sammeln, ordnen, darstellen“ und wurde im Katalog der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen an der Goethe Universität“ veröffentlicht. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.

Literatur

Bernhard Jussen: Liebigs Sammelbilder. Weltwissen und Geschichtsvorstellung im Reklamebild, in: Das Jahrhundert der Bilder, Bd. I: 1900–1949, hg. v. Paul Gerhard, Göttingen 2008, S. 132–139.

Henning Schweer: Popularisierung und Zirkulation von Wissen. Wissenschaft und Technik in visuellen Massenmedien. Eine grundlegende historische Studie am Beispiel der Sammelbilder der Liebig Company und der Stollwerck AG, Hamburg 2010.