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von Janine Aures und Silke Reich
1900 – Technik – Industrie – Unterhaltung – wenige Worte genügen, um in unseren Köpfen ein Bild jener Zeit entstehen zu lassen, in der man technischen Fortschritt in nie gesehener Geschwindigkeit erlebte und das Unmögliche über Nacht möglich wurde. Auch in der Musik: Es war die Blütezeit der mechanischen Musikinstrumente.
Die Geschichte der mechanischen Musikautomaten begann zeitgleich mit der Erfindung des Phonographen 1877, des ersten Tonaufnahmegeräts, das das Verhältnis zur Musik grundlegend veränderte. Zu dieser Zeit waren die drei wichtigsten Firmen Deutschlands, die mechanische Instrumente produzieren, M. Welte & Söhne, die Ludwig Hupfeld AG und die 1886 gegründete Frankfurter Firma Orchestrion- & Piano-Instrumenten-Fabrik J. D. Philipps. Ihre mechanischen Klaviere waren in der Lage, Steuerimpulse gelochter Papierrollen mittels eines pneumatischen Wiedergabesystems in Musik zu übersetzen. Dabei wurde jeder der 88 Klavierhämmer durch einen eigenen saugluftbetätigten Tonbalg in Bewegung versetzt. Zu Beginn waren auf den Papierrollen nur Tonhöhen und Tonlängen gespeichert, doch 1905 gelang es Welte, mit dem Welte-Mignon ein Reproduktionsklavier zu entwickeln, das das individuelle Spiel eines Pianisten mit allen dynamischen Feinheiten wiedergeben konnte.
Mit dem Duca produzierte auch Philipps 1910 erstmalig ein vergleichbares Instrument, und so begann ein zähes Ringen um die besten Pianisten für die Einspielungen, um technische Optimierungen und um einen Absatzmarkt, der durch die Konkurrenz des günstigeren Phonographen immer kleiner wurde. Dabei konnte sich die Firma Philipps mit ihren soliden, aber technisch komplizierten Duca gegen die Konkurrenzprodukte nicht behaupten, zumal die bekanntesten Pianisten bereits bei Welte unter Vertrag waren. Neben einigen wenigen berühmten Pianisten wie Camille Saint-Saëns (1835–1921), Alfred Cortot (1877–1962), Ferruccio Busoni (1866–1924) und Eugen d’Albert (1864–1932) waren es insbesondere regionale Künstler/-innen wie der Frankfurter Pianist Willy Rehberg (1863–1937), die Philipps engagieren konnte – ein wirtschaftlicher Nachteil für die Firma, da der Reiz der Reproduktionsklaviere zu einem beträchtlichen Teil in der Möglichkeit bestand, sich das Spiel eines berühmten Virtuosen ins eigene Wohnzimmer zu holen.
Die Firma Philipps erkämpfte sich aber eine Nische, indem sie Unterhaltungsmusik einspielte und ihre Instrumente nicht nur an Privathaushalte, sondern – mit einer Münzeinwurfbox versehen – auch an Gaststätten und Hotels verkaufte. Zwar konnte Philipps mit dieser Geschäftsstrategie in den 1920er Jahren expandieren, mit der großen Depression war sie jedoch wie ihre Konkurrenz gezwungen, Konkurs anzumelden. Die Weltwirtschaftskrise besiegelte nicht nur die Glanzzeit mechanischer Musikinstrumente, sie führte auch zum völligen Ruin der Branche, während Grammophon und Schallplatte den endgültigen Sieg auf dem Markt der Aufnahme- und Wiedergabetechnik von Klängen davontrugen.
Eines der Duca-Klaviere hat es mit 954 Ducarist-Klavierrollen in die Sammlung des Musikwissenschaftlichen Instituts geschafft und ist so erhalten geblieben. Die Seriennummer im Innenraum des Klaviers verrät, dass der Korpus mitsamt der Mechanik im Jahr 1923 von der Firma Feurich in Leipzig hergestellt wurde. Die Firma Philipps fügte diesem dann die Pneumatik und die Vorrichtung zum Abspulen der Rolle hinzu und verkaufte es als Reproduktionsklavier. Wer es erwarb und wie es mit der Rollensammlung seinen Weg in das Musikwissenschaftliche Institut fand, ist bis heute ungeklärt. Bekannt ist, dass ursprünglich ein Duca-Flügel zur Sammlung gehörte, der aus Platzgründen gegen das Klavier getauscht wurde. Der Flügel befindet sich heute, durch einen Wasserschaden stark in Mitleidenschaft gezogen, in einer Garage in Aschaffenburg. Das jüngst erwachte Interesse an dieser Sammlung der Musikwissenschaft schlägt sich in Publikationen und Forschungsprojekten nieder. So untersucht das Projekt „Musen der mechanischen Musik“ anhand der Klavierrollen den Einfluss von Pianistinnen im Umfeld der mechanischen Musik. Vielleicht wird so bald auch das Rätsel um die Herkunft dieser Sammlung gelöst.
Janine Aures und Silke Reich waren 2014 Studentinnen der Geschichte und der Musikwissenschaft. Der Text entstand im Rahmen der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe Universität“ und wurde im Katalog veröffentlicht. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.
Zum 25jährigen Geschäftsjubiläum von August Philipps, in: Zeitschrift für Instrumentenbau, Bd. 37, 1917, S. 225f.
25jähriges Geschäftsjubiläum Oswald Philipps, in: Zeitschrift für Instrumentenbau, Bd. 40, 1920, S. 614.
Jürgen Hocker: Mechanische Musikinstrumente, in: Musik in Geschichte und Gegenwart, hg. v. Ludwig Finscher, Sachteil Bd. 5, Kassel, Basel u. a. 1996, Sp. 1710–1742.
Herbert Jüttemann: Mechanische Musikinstrumente. Einführung in Technik und Geschichte, Köln 2010.
Hans-Wilhelm Schmitz: Der Philipps-Aufnahmeflügel und die Duca-Aufnahmen, in: Das mechanische Musikinstrument, 12. Jg. 1986, Nr. 40, S. 16–22.