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Die Sammlung Musik und Theater – Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg

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Viola da gamba / Tenorgambe

Kategorien

Signatur

Kunstinventar Nr. 387

Urheber

Anton Mutschke

Datierung

1929

Maße

H 120, B 39,5, T 27,5 cm

Material

Holz, lackiert

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Viola da gamba / Tenorgambe

© Ann Kersting-Meuleman, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg

Die Renaissance der Renaissance im 20. Jahrhundert

von Janine Aures

Durch das vage f-förmige Schallloch auf der linken Seite kann man es, wenn das Licht im richtigen Winkel einfällt, deutlich sehen: Im Inneren des Instruments klebt ein kleiner Zettel mit der Aufschrift „Anton Mutschke | Geigenbauer Frankfurt am Main | Schillerstr. No. 1 | 1929“.

Tritt man einen Schritt zurück und betrachtet das Instrument genauer, sieht es zunächst aus wie ein altes Violoncello, das schon bessere Zeiten erlebt hat. Drei Saiten baumeln lose über einem verschrammten und etwas staubigen Corpus.

Andere Merkmale verwirren. Das Instrument wirkt etwas breiter und gleichsam gedrungener als ein Cello und ähnelt durch seine flach abfallenden Schultern eher einem geschrumpften Kontrabass. Tatsächlich gehört es wie dieser zur Familie der Gamben, eine Instrumentenfamilie, die vom 16. bis in das 18. Jahrhundert hinein analog zur Violenfamilie – also zu Geige, Bratsche und Cello – gebaut wurde. Ende des 18. Jahrhunderts starb die Familie der Gamben bis auf den Kontrabass aus. Ihr leichterer, hellerer, aber auch weniger kraftvoller Klang mochte für das Privatorchester am Hof eines Fürsten genügen, nicht aber für die großen Sinfonieorchester Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Tenorgambe − eine solche ist unser Instrument − wich dem Violoncello.

Wie kommt es also, dass der Geigenbauer Anton Mutschke (1870–1938) im Jahr 1929 wieder eine Tenorgambe anfertigte? Vielleicht baute er sie als Ausstellungsstück für das Manskopfsche Musikhistorische Museum. Friedrich Nicolas Manskopf (1869–1928), der Sohn einer einflussreichen Frankfurter Familie von Weinhändlern, war seit seiner Jugend ein leidenschaftlicher Sammler von Dokumenten und Gegenständen mit Bezug zur Musik und zu Musikern. Seine Sammlung enthielt Kuriositäten, darunter eine angebliche Haarlocke Ludwig van Beethovens (1770–1827) und einen Regenschirm von Franz Liszt (1811–1886), ebenso wie eine akribische und umfangreiche Sammlung von Porträts, Notenautographen, Libretti, Theater- und Opernprogrammen der großen europäischen Häuser.

Manskopf sammelte jedoch nicht nur, er stellte seine Schätze ab 1900 auch im Erdgeschoss seines Elternhauses am Untermainkai 54 aus, mit dem Ziel, seinen Besuchern einen möglichst direkten Zugang zur Musik zu ermöglichen. Der Eintritt in sein Museum war kostenfrei und einige seiner Besucher ließ Manskopf sogar auf den ausgestellten Instrumenten spielen. Das Museum ging auf Wunsch seiner Familie später in den Besitz der Stadt über. Diese übergab die Bestände 1961 der Stadtbibliothek, einer Vorläuferin der heutigen Universitätsbibliothek, da im Zweiten Weltkrieg ein Großteil der Objekte verlorengegangen war und man aus der verbliebenen Sammlung kein eigenes Museum mehr bestücken konnte.

Die Aufnahme unserer Tenorgambe in die Bestände des Museums illustriert dessen Charakter und Zielsetzung auf anschauliche Weise: Manskopf bewegte sich mit seinem Museum am Puls der Zeit. Im frühen 20. Jahrhundert erlebten die Alte Musik und mit ihr auch die Instrumente dieser Epoche im Kielwasser eines musikalischen Historismus- und Authentizitätsdiskurses eine Renaissance. Doch spielbare Instrumente aus der Zeit vor 1800 waren außerordentlich rar, sodass die Geigenbauer nach und nach begannen, sich den Bau der alten Instrumente wieder zu erschließen. Zum Teil entstanden dabei wilde und fantasievolle Kreuzungen aus Gambe, altem und modernem Violoncello, zumal der Instrumentenbau vor 1800 alles andere als standardisiert war. Auch das Manskopfsche Exemplar weist einige für Gamben atypische Charakteristika auf: So ist beispielsweise bei vielen alten Gamben wie bei Gitarren das Griffbrett in Bünde unterteilt. Sie fehlen bei Mutschkes Nachbau. All dies spricht dafür, dass es Manskopf oder seinem Nachfolger beim Erwerb der Gambe nicht darauf ankam, ob sie ein Original oder eine möglichst originalgetreue Rekonstruktion war. Entscheidend scheint vielmehr ihr illustrativer und instruktiver Wert gewesen zu sein. Mit diesen Merkmalen steht das Instrument stellvertretend für die Ausrichtung des Museums: Die Motivation für Manskopfs Sammlungstätigkeit war keine ausschließlich wissenschaftliche, sondern daneben hatte er ein waches Interesse an zeitgenössischen Entwicklungen und Freude an der Vermittlung seiner Leidenschaft für Musik.

Janine Aures war 2014 Studentin der Geschichte. Der Text entstand im Rahmen der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe Universität" und wurde im Katalog veröffentlicht. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.

Literatur

Wolfgang Böttcher, Winfried Pape: Das Violoncello. Geschichte, Bau, Technik, Repertoire, Mainz u. a. 1996.

Harry Haskell: The early music revival. A history, London 1988.

Albert Richard Mohr: Friedrich Nicolas Manskopf zu seinem 50. Todestag. Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung, in: Friedrich Nicolas Manskopf 1869−1928. Ausstellung der Stadt- und Universitätsbibliothek, Frankfurt a. M., 31. August−6. Oktober 1978, hg. v. Hartmut Schaefer, Frankfurt a. M. 1978, S. 7−27.

Hartmut Schaefer: Das „Musikhistorische Museum“ von Friedrich Nicolas Manskopf, in: Friedrich Nicolas Manskopf 1869−1928. Ausstellung der Stadt- und Universitätsbibliothek, Frankfurt a. M., 31. August−6. Oktober 1978, hg. v. Hartmut Schaefer, Frankfurt a. M. 1978, S. 28−32.

Sandra Zydek: Die Wiederentdeckung der Viola da gamba in der Jugendbewegung, in: Viola da gamba und Viola da braccio. Symposium im Rahmen der 27. Tage Alter Musik in Herne 2002, hg. v. Christian Ahrens, Gregor Klinke, München, Salzburg 2006, S. 166–178.