© Foto: Tom Stern, Copyright: Marketing und Kommunikation, Goethe-Universität
von Anna Langgartner
Zwei Reiter zu Pferde in Seitenansicht, leicht versetzt nebeneinanderher von rechts nach links reitend. Die Reittiere nehmen eine Haltung ein, die ihr Vorwärtsdrängen und ihre Kraft gut zum Ausdruck bringt. Das linke Tier wirft den Kopf nach oben, seine rechten Beine sind in der Bewegung erhoben; das rechte Tier bäumt sich auf, setzt die Hinterbeine stark unter den Körper und wirft die Vorderbeine in die Luft. Dennoch sitzen ihre zwei Reiter, beides junge Männer, ohne Sattel entspannt auf den Pferderücken und halten die Kraft ihrer Tiere, die durch angespannte Muskeln und Sehnen sowie heraustretende Adern deutlich zum Ausdruck kommt, beinahe mühelos im Zaum. Nicht nur die heruntergezogenen Maulwinkel der Pferde und die Handhaltung der Reiter weisen auf eine ursprünglich zur Szene gehörenden Zäumung hin, sondern auch Bohrlöcher am Original, in die das bronzene Zaumzeug eingestiftet war. Die jungen Männer tragen weder Schuhe, noch Stiefel, lockere Hemden, darüber als Mantel ein weiteres Stück Stoff lose um den Oberkörper geschlungen. Alles fällt in viele Falten gelegt an ihren Körpern herunter, oder bauscht sich hinter dem Rücken in der Luft, wodurch nochmals die Dynamik des Moments deutlich wird.
Die beschriebene Szene ziert eine langrechteckige Reliefplatte aus weißem Gips. Die Reiter und ihre Pferde nehmen die gesamte Länge und Höhe der Platte ein, der restliche Reliefgrund ist eben und leer. Trotz der geringen Relieftiefe von wenigen Zentimetern, zeichnet sich die Szene durch Raumtiefe und Körperhaftigkeit aus. Die Darstellungen wirken naturbezogen und sind detailreich. Das Relief ist nicht mehr vollständig erhalten; so fehlen der Kopf des linken Reiters, die Hinterbeine des rechten Pferdes sowie beide Schweife der Tiere. Die Umrisse der fehlenden Partien sind aber noch auf dem Reliefgrund zu erkennen. Als Abguss steht die Platte stellvertretend für ein Relief des größten Tempels auf der Akropolis des antiken Athens: des Parthenon. Im 5. Jh. v. Chr. erbaut zierte dieses, angebracht in über 10 Metern Höhe und mit einer Gesamtlänge von 160 Metern, alle vier Seiten des Kernbaues. In der Archäologie viel diskutiert, zeigt es wohl einen großen Festumzug anlässlich einer jährlich stattfindenden Kultfeier zu Ehren der Stadtgöttin Athena, in dem sich allerlei Athener tummeln, darunter auch mehr als 100 Reiter zu Pferde. Der Parthenon, eines der besterhaltenen Monumente der antiken Welt, ist für die Vermittlung der antiken Architektur und Kunst in der Lehre der klassischen Archäologie von zentraler Bedeutung.
Wie die Teilabguss des Parthenonreliefs wird die gesamte Abguss-Sammlung vielfach in die Lehre einbezogen. Grund dafür ist die starke Objektbezogenheit der klassischen Archäologie. Nach wie vor bieten Abbildungen von dreidimensionalen Objekten nur einen schwachen Ersatz für die Originale. An einem Gipsabguss aber lassen sich alle Ansichten des Objektes und seine Wirkung im Raum intensiv studieren. Die besondere Plastizität des Gipses ermöglicht es, Oberflächen bis ins kleinste Detail wiederzugeben. Die Zusammenstellung verschiedener Plastiken, deren Originale in Museen auf der ganzen Welt verteilt sind, erlaubt ein genaues Studium der Formentwicklung und eine Stilanalyse. Da jedoch derzeit kein Etat bereitsteht, ist die Sammlung auf Spenden angewiesen. Auch der Abguss des Parthenonfrieses fand 2001 als Geschenk eines privaten Spenders seinen Weg in die Sammlung.
Die Platte steht aber nicht nur stellvertretend für die originalen Friesteile des Parthenons, sondern auch für eine Reihe weiterer Teilabgüsse, die zum Besitz der Sammlung gehören. Schon durch die Vorgängersammlung am Städel vom Louvre in Paris 1819 erworben, gehen sie auf die frühesten Abformungen des Parthenonfrieses zurück, die direkt am Bau in Athen in den 1780er Jahren abgenommen worden sind. Die 13 Platten weisen damit den Erhaltungszustand des Frieses aus dem 18. Jh. auf, der wesentlich besser war als der der heutigen Originale, die teilweise noch bis 1993 am Bau verblieben sind und dort durch diverse Umwelteinflüsse deutlich an ihrer Qualität verloren haben.
Doch auch die Platten der Abguss-Sammlung des Archäologischen Instituts haben durch mehrmalige Übertünchung ihren archäologischen Wert fast vollständig eingebüßt. Heute fristen sie ein Dasein fern jeglicher Öffentlichkeit, da sie beim Umzug der Sammlung 1960 in das IG-Farbenhaus auf dem Westend-Campus an ihrem Standort aus der Gründungszeit der Universität, einem Oberlichtsaal im Jügelhaus des Bockenheimer Campus, belassen worden sind, wo sie in die Mauern eingelassen sind. Zeitweise wurde dieser Saal als Büroraum genutzt, und jahrelang erfüllten die Abgüsse keinen Zweck für Lehre oder Forschung. Der hier besprochene Teilabguss des Parthenonfrieses gehört zwar nicht ursprünglich dieser Abguss-Serie an, doch ist er ein stete Erinnerung an diese innerhalb der aktuellen Sammlungsräume. Mit der sukzessiven Aufgabe des Bockenheimer Campus und der Übergabe des Jügelhauses an das Senckenberg-Museum 2013 ist das Schicksal dieser Abgussplatten derzeit noch ungeklärt.
Die Autorin war 2014 Studentin der Klassischen Archäologie. Der Text entstand im Rahmen der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität“. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.
Johannes Bauer (Hg.): Gips nicht mehr. Abgüsse als letzte Zeugen antiker Kunst, Bonn 2000.
Frank Brommer, Die Parthenon-Skulpturen. Metopen, Fries, Giebel, Kultbild, Mainz 1982.
Ursula Mandel, Die Abgußsammlung des Städelschen Kunstinstitutes und ihre Erweiterung als Sammlung des Archäologischen Instituts der Universität, in: Begegnungen. Frankfurt und die Antike, hg. v. Marlene Herfort-Koch, Ursula Mandel, Ulrich Schädler, Frankfurt a. M. 1994, S. 231–252.