von Chiara Daab
Die Anordnung des Frankfurter Stadtrates des Jahres 1683 untersagt der jüdischen Bevölkerung, an Sonntagen und christlichen Feiertagen Handel zu treiben. Nebst diesem Verbot ergreift der Stadtrat die Gelegenheit, um weiter auszuholen: Juden und Jüdinnen werden gemahnt sich gemäß ihrer „Stättigkeit“ zu verhalten, sodass sie „also auch sonderlich bey Sonn, Fest- und Feyer-Tagen in ihrer Gassen still und eingezogen verbleiben“und„die grosse Thor hinten und fornen beschliessen“.
Beim Lesen dieser Anordnung wird man auf den Umgang mit der jüdischen Bevölkerung in der Stadt Frankfurt am Main und ihre alltäglichen Probleme hingewiesen. Ebenso werden Fragen aufgeworfen: Was meint der Begriff Stättigkeit? Unter welchen Umständen lebte die jüdische Bevölkerung in der Stadt?
Die Antwort auf die erste Frage ist grundlegend für das Leben der Juden und Jüdinnen in der Reichsstadt Frankfurt. Die Stättigkeit, an die sie hier vom Rat erinnert werden, bezeichnete einen Vertrag, den die Juden mit dem Rat schlossen und mit welchem sie eine Art Bürgerrecht und Aufenthaltsgenehmigung für die Stadt erhielten sowie Verpflichtungen, die je nach Epoche variierten und in bestimmten Abständen erneuert werden mussten.
Die Anordnung ist zusammen mit mehreren Mandaten und Rechtsdokumenten der Jahre 1564 bis 1807 als Quellengattung in einem Band zusammengebunden. Es ist anzunehmen, dass die Objekte ursprünglich aus der Familienbibliothek der Familie von Holzhausen stammen, welche der Frankfurter Stadtbibliothek übergeben wurden. Um 1907 wurde die Abteilung Frankfurt der Stadtbibliothek Frankfurt am Main begründet, welche stets auch Bestände zur jüdischen Geschichte Frankfurts verwahrte und den Grundstock der heutigen Sammlung Frankfurt und Seltene Drucke der Universitätsbibliothek bildet. Arthur Riegel, der erste Abteilungsleiter, brachte 1914 und 1929 zwei Katalogbände heraus, in welchen die Anordnung im ersten Band verzeichnet ist. Die aufgrund ihres Alters und des Papiers, aus dem sie gefertigt wurden, fragilen Dokumente sind durch zwei feste Buchdeckel geschützt und weiterhin gut lesbar.
Die Dokumente haben alle gemeinsam, dass sie über die Jahrhunderte hindurch ähnliche Vorgänge verzeichnen. Es folgt eine Anordnung des Stadtrates oder anderer Obrigkeiten auf die Nächste. Auch das Verbot, Handel an Sonntagen und christlichen Feiertagen zu treiben, wird wiederholt ausgesprochen. Dieses Verbot leitete sich aus dem Vorwurf christlicher Bürger ab, dass Juden die Sakralität dieser besonderen Tage allein durch ihre Anwesenheit „beschmutzen“ könnten. Im Jahr 1460 führten diese Anschuldigungen zu einer Zwangsumsiedlung der Frankfurter Juden und Jüdinnen von ihrem Siedlungsgebiet am Dom hin zu einem Areal außerhalb der Stadtmauern, an den Wollgraben. Die entstandene Judengasse schloss die jüdische Bevölkerung bis zur Aufhebung des Ghettozwangs 1811 aus der Gesellschaft aus.
Die Anordnung zeigt exemplarisch, unter welchen Bedingungen Juden und Jüdinnen im Mittelalter in der Reichsstadt Frankfurt lebten und wie fragil jüdisches Leben in einer mittelalterlichen Stadt war. Seit der Erbauung der Judengasse wohnten sie, abgeschottet vom christlichen Teil der Bevölkerung, unter schlechteren Lebensbedingungen abseits des Stadtzentrums. Dennoch konnten sie durch die am Tage geöffneten Tore der Gasse ihren Geschäften weiterhin nachgehen. Andernfalls würde der Stadtrat sie nicht ermahnen, dies an gewissen Tagen zu unterlassen. Das heißt, dass es trotz der jahrhundertelangen Separierung laufende Beziehungen zwischen der jüdischen und christlichen Bevölkerung gab. Die genannte Forderung findet sich allerdings schon im 14. Jahrhundert und taucht später auch häufig in Rechtstexten auf. Hier zeigen sich die Konjunkturen des geschäftlichen Verhältnisses von Juden und Nichtjuden.
Frankfurt ist indes ein besonderes Fallbeispiel für deutsch-jüdische Geschichte. Bereits im 12. Jahrhundert lebten Juden in der Stadt. Nach zwei verheerenden Pogromen 1241 und 1349 im Zuge der Pest ermöglichte ein kaiserliches Privileg eine dauerhafte Ansiedlung. Viele jüdische Gemeinden wurden in den darauffolgenden Jahrhunderten durch einen wachsenden Antijudaismus aus den Städten vertrieben. In Frankfurt blieb dies aus, nichtsdestotrotz grenzte man sie durch die Separierung in der Judengasse aus der Stadt aus. Frankfurt hebt sich mit der kontinuierlichen Ansiedlung einer jüdischen Gemeinde vom Mittelalter bis zur Neuzeit von anderen deutschen Städten ab.
Dieser Beitrag von Chiara Daab entstand im Rahmen des Projektseminars ’17 Motive jüdischen Lebens‘ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main im Sommersemester 2021.
Frühneuzeitliche Ghettos in Europa im Vergleich, hrsg. von Fritz Backhaus, Berlin 2012.
Isodor Kracauer:Frankfurter Judenstättigkeiten im Mittelalter, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 63 (1919), Festnummer zum siebzigsten Geburtstage M. Branns (April/Juni 1919), S. 187-199.