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von Natalija van Well
Kristalle faszinieren die Menschen seit der Urzeit. Ihr Glanz, ihr Feuer, ihre facettierte Erscheinungsform sowie ihre Farbenpracht machen sie begehrenswert. Magische Kräfte, Wunder, Schutz des Trägers vor und seine Heilung von Krankheiten werden ihnen zugeschrieben. Gerade aufgrund ihres Wertes aber werden um Kristalle auch Kriege geführt. Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist die Auseinandersetzung um die sogenannten Blutdiamanten in Afrika. Was für eine schöne Vorstellung, Kristalle künstlich züchten zu können! Diese Kunst beherrschen allerdings nur Wenige, denn dazu gehören viele, für die Allgemeinheit nur schwierig zu durchschauende Kunstgriffe. Selbst beim Wettkampf „Kristallwachsen“ im Buch „Kleiner König Kalle Wirsch“ von Tilde Michels (1920–2012) beherrscht nur ein echter König diese Kunst und ist damit dem bösen Anführer der Wirsche weit überlegen.
Kristalle sind eine besondere Form der Festkörper. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass ihre Atome und Moleküle vollkommen regelmäßig in einer dreidimensionalen Struktur angeordnet sind. Wegen ihrer perfekten Struktur sind Kristalle auch für viele wissenschaftliche und technische Anwendungen von großem Interesse. So sind Kristalle dazu geeignet, durch Experimente der Natur Fragen zu stellen und deren Geheimnisse zu entschlüsseln. Wie jeder weiß, wartet kein Physiker und keine Physikerin, ob und bis ihm beziehungsweise ihr die Natur einen Einblick in ihre Geheimnisse gewährt.
Ein großer und wichtiger Forschungsschwerpunkt befasst sich heute in der Festkörperphysik mit der sogenannten Bose-Einstein-Kondensation. Auch hier spielt die Kristallzüchtung eine große Rolle. Dabei wurde ein Farbpigment für die Wissenschaft „wiederentdeckt“, welches bereits vor ungefähr 2000 Jahren in China während der Han-Dynastie zur Färbung von Statuen, Keramiken und rituellen Gegenständen verwendet und welches bei den Ausgrabungen der Terrakottaarmee in China wiedergefunden wurde: Han Purple.
Han Purple (BaCuSi2O6) ist nicht nur ein alt-chinesisches Farbpigment, sondern auch ein Modell-Material für die Studie der sogenannten Bose-Einstein-Kondensation, die bei Temperaturen knapp oberhalb des absoluten Nullpunktes auftritt. Das Interessante dabei ist, dass alle „Teilchen“ einen einheitlichen makroskopischen Quantenzustand annehmen, welcher dann mit einer Wellenfunktion beschrieben werden kann. Für die Untersuchung der sogenannten Bose-Einstein-Kondensation benötigt man – im Gegensatz zur Kristallzüchtung – extrem tiefe Temperaturen, nämlich drei hundertstel Kelvin, und hohe Magnetfelder.
In unserem Labor haben wir für solche Untersuchungen BaCuSi2O6-Kristalle gezüchtet. Die Kristallzüchtung erfolgt aus der Schmelze unter Zugabe von verschiedenen Metaboraten, wie zum Beispiel Lithiummetaborat (LiBO2), Kaliummetaborat (KBO2) oder Natriummetaborat (NaBO2), die die Schmelztemperatur reduzieren. Die große Herausforderung für uns besteht darin, dass die bisher hergestellten Einkristalle leider noch sehr klein sind und deren Züchtung mehrere Wochen dauert. Wir versuchen, die Züchtungsbedingungen zu optimieren, um das Wachstum zu verbessern und somit größere Kristalle zu erhalten. 2011 gelang uns bereits die Züchtung eines Kristalles mit einem Durchmesser von 2,5 Millimeter. Dieser Erfolg hat uns so gefreut, dass wir das Kristall in eine kleine Schachtel gelegt und mit einer blauen Schleife geschmückt haben. Ästhetisch ist das Ergebnis schon ein großer Genuss: Die bisher plättchenförmig gewachsenen Kristalle besitzen eine wunderschöne blaue Farbe.
Natalija van Well ist Diplom-Ingenieurin und Doktorandin am Institut für Physik.
Tide Michels: Kleiner König Kalle Wirsch, München 2001.
Heinz Berke: Chemie in Altertum, Konstanz 2006.
Suchitra E. Sebastian u. a.: Role of anisotropy in the spin-dimer compound BaCuSi2O6, in: Phys. Rev. B 74, 180401 (2006).