© Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
von Johanna Rumpeltes
„Bohnenfrikadellen“, „Krautbratlinge“ und „Pfannkuchen von Haferflocken“ – gebraten mit pflanzlichem statt tierischem Fett. Was sich wie vegane Rezepte des 21. Jahrhunderts liest, bekommt einen ganz anderen Beigeschmack, wenn Henriette Fürth (1863–1938) es in ihrem „Kleinen Kriegskochbuch“ empfiehlt, das um 1915 in einer Auflage von mindestens 50.000 Exemplaren erschien. Auf 36 Seiten ohne Illustrationen versammelte Fürth in prägnantem Stil im Auftrag der Lebensmittelkommission der Stadt Frankfurt am Main über 100 Rezepte. Die Botschaft an die Frauen am Herd in den heimischen Küchen war klar – auch diese sollten ihren Beitrag zur Kriegsführung leisten: „Wie das Heer der Männer tapfer eintritt für das Wohl des Vaterlands, so wollen die Frauen durch weise Sparsamkeit, durch Pflichtgefühl gegen die Gesamtheit beitragen zum siegreichen Ausgange dieses harten Krieges.“ (Fürth: S. 33)
Deutschland ging wirtschaftlich schlecht vorbereitet in den Ersten Weltkrieg. Rasch wurde dies bei der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung spürbar. Innerhalb eines Jahres führten reduzierte Lebensmittelimporte und starke Einschränkungen der Lebensmittelproduktion zu einer deutlichen Verschlechterung der Ernährungslage. Als engagierte Frauenrechtlerin und vielseitig interessierte Publizistin verfasste Henriette Fürth den „Ratgeber für sparsames Kochen“ daher nicht nur als Praxishilfe. Der Ratgeber war wie zahlreiche andere Rezeptsammlungen, die während des Kriegs erschienen, zudem ein Instrument, die rationale Verwaltung des Mangels auch auf Ebene der Verbraucher durchzusetzen. Daran war neben Regierung und Ländern auch der Nationale Frauendienst interessiert, eine im August 1914 gegründete weibliche Hilfsorganisation, in der sich auch Fürth engagierte. Der Frauendienst arbeitete eng mit kommunalen Organisationen wie der Frankfurter Lebensmittelkommission zusammen; in diesem Rahmen erhielt Henriette Fürth vermutlich den Auftrag für ihr Kochbüchlein.
Zur „weise[n] Sparsamkeit“ und „restlose[n] Ausnutzung aller Lebensmittel“ ruft die Einleitung des Ratgebers auf. Daher lauten Fürths Empfehlungen: weniger Fleisch und mehr Fisch, Roggenmehl statt Weizenmehl, Butterersatz und Pflanzenöl anstelle tierischer Fette. Auf Eiergerichte verzichtete Fürth von vornherein. Dafür findet sich der vor dem Ersten Weltkrieg als Lebensmittel nicht verwendete, weil im Geschmack und Geruch unangenehme Klippfisch. Dass der Krieg auch neue Rezepte mit eigenen Bezeichnungen hervorbrachte, zeigt der „Kriegskuchen“, der mit Kartoffeln und fast ohne Fett gebacken werden sollte.
Das Kochbuch erschien, bevor die Lebensmittelnot ab 1916 die Menschen immer stärker in ihrer Existenz bedrohte. Ein erstes Anzeichen dieser Entwicklung lässt sich an der „billige[n] Fischsuppe“ erkennen. Für die brauchte es nicht mehr als Fischabfälle, die man kostenlos von Händlern erhalten konnte. Und für den Fall, dass die Zutaten für die vielfach schon improvisierten Rezepte nicht vorlagen und das Gericht noch karger als dort vorgegeben ausfallen musste, findet sich ein aus heutiger Perspektive zynisch klingender Tipp: „Man hat es ferner in der Hand, durch langsames Kauen die Ausnutzung der Nahrung zu erhöhen.“ (Fürth: S. 5)
Das Kriegskochbuch von Henriette Fürth wurde kurz nach dem Ersten Weltkrieg in der Stadtbibliothek Frankfurt inventarisiert. Später wurde es der kleinen Kochbuch-Sammlung der Frankfurter Universitätsbibliothek zugeschlagen. Zu den knapp 2000 Titeln der Sammlung, die überwiegend nach 1950 erschienen sind, gehören nicht nur deutschsprachige, sondern auch französische sowie englische Kochbücher und Publikationen zu Gastronomie und Esskultur. Auch umfasst die Sammlung eine kleine Auswahl an exotischen Rezeptbüchern, zum Beispiel für afrikanische Gerichte. Seit einiger Zeit wird der Bestand durch eine zweite Kochbuchsammlung ergänzt (Signatur 40), die eine Dauerleihgabe der Tafelkultur-Stiftung ist.
Bis heute wird exemplarisch weitergesammelt, da Kochbücher wichtige Quellen für die Forschung darstellen. Sie sind viel mehr als bloße Auflistungen von Rezepten, erzählen von der Geschichte der Ernährung und dienen als Spiegel der Gesellschaft und als Zeugnis der Zeitgeschichte. Henriette Fürths Rezeptsammlung zeigt dies eindrucksvoll; an dem unscheinbaren Kochbüchlein lässt sich nachvollziehen, wie bewährte kulturelle Alltagspraktiken in Kriegs- und Krisenzeiten ihre Gültigkeit verlieren und durch neue ersetzt werden.
Die Autorin war 2014 Doktorandin der Geschichte. Der Text entstand im Rahmen der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe Universität“ und wurde im Katalog veröffentlicht. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.
Angelika Epple: Henriette Fürth und die Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich. Eine Sozialbiographie, Pfaffenweiler 1996.
Christoph Regulski: Klippfisch und Steckrüben. Die Lebensmittelversorgung der Einwohner Frankfurts am Main im Ersten Weltkrieg 1914–1918. Eine Studie zur deutschen Wirtschafts- und Innenpolitik in Kriegszeiten, Wiesbaden 2012.
Anne Roerkohl: Hungerblockade und Heimatfront. Die kommunale Lebensmittelversorgung in Westfalen während des Ersten Weltkrieges, Stuttgart 1991.